Miteinander Leben - Friede ist allweg in Gott

Novemberimpuls

Miteinander Leben - Friede ist allweg in Gott

Von 02.-03. November 2024 fand unter diesem Thema die 57. Diözesanwallfahrt nach Einsiedeln, Stalden, Sachseln und Flüeli zu unserem Patron Bruder Klaus und Dorothe von Flüe statt. Frau Ordinariatsrätin Karin Schieszl-Rathgeb begleitete die Diözesanwallfahrt und hielt für uns die Wallfahrtspredigt beim Abschlussgottesdienst in Sacheln. Diese Predigt möchten wir als Novemberimpuls mit Ihnen teilen. 


Liebe Weggefährtinnen und Weggefährten,

liebe Schwestern, liebe Brüder!

Ich weiß nicht, ob Ihr es auch so empfindet: Es ist doch ein absolut radikales Motto, mit dem wir seit gestern hier gemeinsam unterwegs sind: „Friede ist allweg in Gott“!

Radikal ist es deshalb, weil es in zweierlei Richtungen hin provoziert:

Einmal reicht der Blick in die Welt und in unsere Gesellschaft.

Vielleicht habt Ihr es auch gelesen, die größte Sorge, die Jugendliche und junge Erwachsene heute belastet, ist – laut der neuen Shell-Studie – die Sorge vor einem drohenden Krieg. Ja, ich meine, die Sorge der Jugendlichen ist bitter ernst, denn:

angesichts dessen, was wir gerade in der Welt erleben: in der Ukraine, in Israel und Palästina, im Iran, in Äthiopien, in Myanmar, im Sudan – die Liste könnten wir alle beliebig fortsetzen.

Angesichts all dem: Ist es doch tatsächlich eine provozierende Frage: Wo ist eigentlich noch Frieden?

Die zweite Provokation in diesem Satz ist „Gott“. – In Gott soll Friede sein. – Wirklich? – Wie sieht es heute in der Welt aus? Gott selbst wir doch von den Menschen in viele dieser Konflikte mit hineingezogen. In seinem Namen wurde und wird Krieg geführt. Gott! Wie viele Menschen glauben denn noch an Gott?

 

Irgendwie muss uns das Motto doch angesprochen haben, sonst hätten wir uns die kurze Nacht gestern nicht zugemutet. Sonst hätten wir nicht auf unseren Schlaf verzichtet, die Strapazen auf uns genommen, nachts in der Ranft-Kapelle gebetet, um dem Motto nachzugehen.

Sicherlich ist ein Grund dafür, dass wir uns im Grunde alle fragen:

Welche Option haben wir? Ist nicht Friede ist die einzige Option für die Welt und für uns Menschen?

Und gerade deshalb: Braucht der Friede immer auch mutige Menschen. Mutige Menschen - zu jeder Zeit. Denn: Streit, Kriege und Konflikte sind so alt, die das menschliche Zusammenleben selbst.

Der Satz: „Friede ist allweg von Gott“ stammt vom Heiligen Nikolaus von Flüe. – Mir  wächst er Schritt für Schritt mehr ans Herz.

Vielleicht vor allem deshalb, weil Bruder Klaus kein glatter Heiliger war, sondern ein Charakterkopf mit Ecken und Kanten und mit Brüchen in seinem Leben. Einer der immer mit sich gerungen hat. Ein Mensch, der alles hatte, eine Frau mit einer starken Persönlichkeit, Dorothee, die ihm sicherlich ebenbürtig war. Gemeinsam hatten sie eine große Familie - insgesamt hatte Dorothee 5 Töchter und 5 Söhne geboren. Nikolaus war im Ort ein angesehener Mann, ein ehrbarer Richter sogar.

Mit 50 Jahren wird er von einer Sehnsucht gepackt. Wir könnten nun denken, ah ja, die Midlife-Crisis. Ist das nicht das Alter, in dem man sich heute ein Cabrio kauft? Den zweiten Frühling einläutet?

Nein, die Sehnsucht nach Jugend trieb Nikolaus nicht nicht um.

Er zieht sich in eine Klause zurück – nur wenige 100 Meter vom Familiensitz entfernt. Dort verwirklicht er, wohl mit Zustimmung seiner Frau, seine eigenen innersten Wünsche: Beten. Fasten. Alleinsein. Er sieht keine andere Option, um Frieden zu finden und Frieden zu schenken.

Eigentlich lebte Bruder Klaus ein Aussteiger-Leben, wie ein Hippie, kann man fast sagen. Christliche Hippies gab es in der Geschichte vor Klaus einige:

Franz und Clara von Assisi zum Beispiel, oder noch früher: der Heilige Meinrad von Einsiedeln, den wir gestern besucht haben, der ähnlich wie Bruder Klaus zurückgezogen im Wald zu sich selbst und ganz zu Gott fand.

Ein Hippie, so beschreibt es Wikipedia, ist ein Mensch, der sich zu einer pazifistischen Lebensform bekennt. Ich meine, diese Umschreibung passt sehr gut zu Bruder Klaus.

Ich verbinde mit dieser Bewegung der 1960-er Jahre das „Peace-Zeichen“. Das Peace-Zeichen ist sicherlich das berühmteste Friedenssymbol der Welt. – Ein Kreis und drei Striche. Entwickelt wurde es einem britischen Grafikdesigner.

Es ist sehr bezeichnend, dass es gerade an einem Karfreitag anlässlich der Ostermärsche – im Jahr 1958 – zum ersten Mal mitgetragen wird.

Als sein Entwickler, Gerald Holtom hieß er, nach der Bedeutung des Symbols gefragt wurde, sagte er einmal: „Ich war verzweifelt. Zutiefst verzweifelt. Ich malte mich selbst als typisches Beispiel für einen einzelnen hoffnungslosen Menschen, die Handflächen nach außen und unten gestreckt.“ Der Kreis ist die Erde, auf der wir Menschen gefangen sind. Gefangen in einer Spirale von Hass und Gewalt – und von immer neuen drohenden und realen Kriegen.

Wie oft stehen wir da, mit hängenden Schultern und leeren Händen und wissen nicht weiter?

Ich bin fest davon überzeugt: Angesichts der vielen Krisen, können wir unsere Schultern nicht hängen lassen. Unser Glaube verlangt geradezu nach einer politischen Haltung! Von uns als Christinnen und Christen muss Frieden ausgehen.

Bruder Klaus hat dies erkannt. Nikolaus von der Flüe war, politisch aktiv. Er war Richter. Erst spät, zieht er sich in die Einsamkeit zurück. Er nimmt die Worte ernst, die Paulus an die Gemeinde in Rom schreibt – bis in die letzte Konsequenz: Das Reich Gottes verwirklicht sich nur so: durch Friede, Gerechtigkeit. Und – man höre und staune – durch Freude.

Das Grundsatzprogramm von Bruder Klaus ist nichts weniger, als die Nachfolge Jesu. Und diese ist mitnichten unpolitisch. Wir alle kennen viele Stellen im Neuen Testament, an denen Jesus dezidiert Partei ergreift. Und zwar für die Schwächsten, Marginalisierten und Chancenlosen.

In der Bergpredigt, nennt Jesus die selig, die nach Frieden und Gerechtigkeit hungern. – Das ist eine zutiefst politische Haltung.

Für Klaus von Flüe ist es eine erschütternde Erfahrung, dass gerade Christen, die die Botschaft Jesu eigentlich kennen sollten, aufeinander einschlagen, dass Recht oder Unrecht mit Gewalt durchgesetzt werden.

Schon als kleiner Junge lernte Nikolaus von Flüe, was Elend, Tod und Armut bedeuten. Als 14-Jähriger musste er schließlich selbst in den Krieg ziehen. Die Männer, die als Soldaten in die Schlacht zogen, sind entweder gefallen, oder sie kamen verkrüppelt heim, meist noch mit Seuchen und Plagen versehen.

Ihre Frauen und Kinder litten Hunger, weil sie ihre Familie nicht mehr versorgen konnten. Heutige Kriegstraumata unterscheiden sich kaum davon.

Täglich sehen wir Bilder, die zeigen, weshalb Krieg nicht die Option sein kann. Denn durch Krieg und Gewalt wird den Menschen die Würde genommen, die ihnen von Gott geschenkt ist.

Gewalt anonymisiert, macht Menschen zu Opfern, zu Nummern, zu Körpern.

Weil der gerechte Friede die einzige Option ist, schreibt Bruder Klaus zu seiner Zeit ganz im Sinn des Apostels Paulus an die verfeindeten Schweizer Stadträte: „Friede ist stets in Gott, denn Gott ist der Friede, und Frieden kann nicht zerstört werden.“

Bei einem Autor, der erst kürzlich ein Buch über Klaus von Flüe veröffentlicht hat, habe ich den Satz gelesen: Der Krieg reibt sich am Frieden.

Der Krieg reibt sich am Frieden: Es ist die Quadratur des Kreises, Frieden und Gerechtigkeit zu vermitteln in einer zutiefst unfriedlichen Zeit.

Das aber hat Bruder Klaus gelebt. Das hat er versucht, den Menschen zu vermitteln, die ihn in seiner kleinen Klause besucht haben. Bruder Klaus hat dafür sogar ein Symbol entwickelt, das dem Peace-Zeichen sehr ähnelt.

Wir sehen hier das Radbild (2), das auf Bruder Klaus zurückgeht. Wir sehen keine hängenden Schultern, keine ratlosen Hände. Hier ist in der Mitte Jesus Christus.

Für uns Christinnen und Christen gehört es zu unserer DNA, diese Friedensbotschaft nicht nur historisch zu erzählen, oder im Kirchenjahr – so wie wir es zum Beispiel an Weihnachten tun.

Wenn wir Bruder Klaus mit seiner Botschaft ernst nehmen, dann muss Frieden stiften zu unserer Grundhaltung werden, überall – im Großen und im Kleinen auf den Frieden hinzuwirken.

Aber so wie uns im Hinblick auf die Klimaentwicklung fast die Zeit davon läuft, so auch durchaus in der Gestaltung des Friedens. Nicht nur an die großen Waffensysteme haben wir uns gewöhnt, an neue Nationalsimen, sondern auch an Lügen und Beschimpfungen und Herabsetzung von Menschen in der Öffentlichkeit und im Netz.

Friedensarbeit beginnt im Kleinen und erstreckt sich bis ins Große der Politik.

Frieden verbindet Hippies und Heilige. – Und alle dazwischen. Friede überwindet Hass und Gewalt. Er verbindet, Bruder Klaus und uns heute.

 

Liebe Schwestern und Brüder,

es gibt eine Geschichte über einen Mann, der in USA während des Vietnamkrieges jeden Freitag mit einem Protestschild mit dem Peace-Zeichen vor dem Weißen Haus stand.  Eines Tages ging ein Reporter zu ihm und fragte ihn mit einem spöttischen Lächeln: „Glauben Sie wirklich, dass Sie die Welt verändern, indem Sie hier so stehen?“ –

„Die Welt verändern?“, staunte der Mann. „Ich habe nicht die Absicht, die Welt zu verändern. Ich sorge nur dafür, dass sie mich nicht verändert.“

Ich wünsche uns allen, dass wir mit einer Mission heute nach Hause fahren: Frieden zu suchen und Frieden zu stiften. Quelle für uns ist Gott, denn in ihm ist allweg Friede!

Amen!

Ordinariatsrätin Karin Schieszl-Rathgeb 

Bischöfliches Ordinariat der Diözese Rottenburg-Stuttgart

Schrifttexte: L.: Röm 14,17-19, Ev.: Mt 19,27-29


(1) Statur Bruder Klaus & Dorothe                               (2) Radbild Bruder Klaus                                                          (3) OR Karin Schieszl-Rathgeb